Mein Kopf ist schwer...
- Antje Hoell
- 27. Feb. 2021
- 3 Min. Lesezeit
Momentan befinde ich mich in einem Strudel von Informationen über Zytostatika, Medikamente, Therapieoptionen und deren Nebenwirkungen. Ich erfahre am eigenen Körper und von anderen KrebspatientInnen, welche Auswirkungen und Nebenwirkungen die Chemotherapie auf uns hat. Es macht mich sprachlos zu erfahren, welche Kurzzeit- und Langzeitfolgen die Therapie mit sich bringt.
Eine Krebspatientin hat mir von ihrem „Werdegang“ mit dem Multiplen Myelom berichtet. Zweimal hat sie die Kraft und Stärke aufgebracht, eine Hochdosischemotherapie mit Stammzelltransplantation durchzuführen. Für die Hochdosischemotherapie wird den PatientInnen neben weiteren Medikamenten ein Nervengift in beträchtlicher Höhe verabreicht, um das Knochenmark des Körpers vollständig zu zerstören. Ein Nervengift!, das irreversible Nebenwirkungen zur Folge hat: Die PatientInnen verlieren ihre Gedächtnisleistung, entwickeln eine Neuropathie (Schädigung von Nerven vor allem in Händen und Füßen), fühlen sich permanent kraftlos, haben Schlafstörungen. Ein Patient berichtet, dass er durch die Einnahme von Revlimid, dem Contergan Medikament, an einigen Tagen so müde ist, dass er 2 Tage durchschläft. Die Liste der Nebenwirkungen, Kurzzeit- und Langzeitfolgen der Chemotherapie ist lang. Beängstigend ist die „Wucht“, mit der sich Auswirkungen zeigen und wie unerwartet diese auftreten. Obwohl ich diese Woche Therapiefrei habe, fühle ich mich von Tag zu Tag kraftloser. Mein geliebter Morgenlauf von 10min durch unser kleines Dorf, fühlt sich wie eine Bergwanderung an. Meine Beine sind schwer, ich komme kaum vorwärts, muss mich innerlich antreiben und mir Mut zusprechen. Ich verstehe das nicht: Ich mache eine Chemotherapie, damit es mir besser geht und gleichzeitig geht es mir von Woche zu Woche schlechter. Wo ist da der Nutzen? Natürlich weiß ich, dass der Nutzen darin besteht, die Krebszellen zu eliminieren, damit diese nicht weiter meine Knochen und Organe befallen und zerstören. Gleichzeitig jedoch werden gesunde Zellen und vor allem Nerven zerstört, die mein Körper braucht, um zu leben, um aktiv an diesem Leben teilzunehmen. Die Situation vermittelt mir momentan ein Gefühl der Ausweglosigkeit aus diesem Medikamenten-Cocktail und seinen irreversiblen Schädigungen und gleichzeitig spüre ich, dass ich das nicht hinnehmen will. In mir versuche ich jegliche Motivation und Kraft zu aktivieren, die ich benötige, um mein Leben zu leben. Ich komme immer wieder an den Punkt, an dem ich mich frage, wie lange ich das Spiel mit den Medikamenten noch mitmache und wann ich „aussteige“. Ist es nicht besser, wenige Jahre intensiv, ohne Schmerzen und Einschränkungen zu leben, als viele Jahre, dafür mit Schmerzen und nur halb am Leben und Alltag teilnehmend? Um eine Vorstellung zu bekommen, wie es mir geht, kann jede/r sich fragen, wie stehe er/sie zur Impfung gegen Covid steht? Viele sind skeptisch, wollen sich evtl. nicht impfen lassen, weil sie nicht abschätzen können, welche Langzeitfolgen die Impfung auf den Körper und die Psyche hat. Und wir reden hier von einer Impfung a 2 Termine! In dem Sinne erhalte ich jede Woche eine „Impfung“ in Form der Chemo-Medikamente. Die Angst, die ich anfangs vor der Chemotherapie hatte, war schnell verschwunden, weil die befürchteten Nebenwirkungen von Übelkeit und Bettschwere ausgeblieben sind. Durch die relativ gute Verträglichkeit und einfache Gabe der Medikamente in Form von Spritzen, habe ich die Tragweite der Gifte auf meinen Körper nicht permanent präsent. Was einerseits gut ist, sonst würde ich die Therapie nicht durchführen und andererseits besteht damit die Gefahr, die Therapie auf die leichte Schulter zu nehmen. Ich will mir meine Autonomie bewahren, will meinen Lebensweg gestalten und darüber bestimmen. Die Chemotherapie ist für Außenstehende wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, die ich habe, um den Krebs zu besiegen, für mich jedoch fühlt sich die Chemotherapie derzeit wie ein „Klotz am Bein“ an, der mich schwächer werden lässt.
½ Stunde später… Ich schaffe es heute nicht, einen positiv denkenden Abschluss aufs Papier zu bringen. Vielleicht klappt es später. Ganz bestimmt in den nächsten Tagen.




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