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Gemischte Gefühle

  • Antje Hoell
  • 14. Dez. 2020
  • 3 Min. Lesezeit

Es ist Montag. Eigentlich Therapietag! Mit gemischten Gefühlen habe ich heute die Klinik betreten. Ich habe mich gefragt, ob meine Werte gut genug sind, um mit dem 4. Zyklus zu starten oder ob ich meinem Körper vertrauen kann, der mir seit Tagen signalisiert, mir geht es nicht wirklich gut. Ich schaue in den Spiegel und sehe müde und glasige Augen. Fieber habe ich zum Glück nicht. Dennoch fühle ich mich „eingezwängt“, als ob mein Körper kaum Raum bzw. Sauerstoff zum atmen hat.

Die Blutwerte bestätigen mein körperliches Empfinden. Ich habe trotz therapiefreier Woche und zweimal spritzen mit dem Wachstumsfaktor wieder einmal viel zu niedrige weiße Blutkörperchen / Granulozyten. Aufgrund meiner viel zu niedrigen Anzahl besteht für mich weiterhin erhöhte Ansteckungsgefahr und die Notwendigkeit, die Therapie erneut auszusetzen. Das macht mich unglücklich. Verschiedenste Gedanken und Fragen gehen durch meinen Kopf: Was ist, wenn mein Körper es nicht mehr schafft, die Chemo zu verarbeiten? Inwieweit kann ich die Therapie mit einer geringeren Dosis und dem ständigem Spritzen fortführen? Was bedeutet das für meine Zukunft? Welche Alternativen habe ich? Fragen, die ich morgen meinem Oberarzt stellen kann.

In dem Sinne freue ich mich auf das Gespräch. Denn mein Oberarzt schafft es, mir Mut zuzusprechen und mich zu motivieren, den Therapieweg weiterhin zu beschreiten. Die Beziehung ist eine tragbare und vertrauensvolle „Arzt-Patienten- Beziehung“, die so ungemein wichtig in der Behandlung und Begleitung von Patienten ist. Nur wenn der Arzt es schafft, sich auf die Ebene des Patienten zu begeben, ihn ernst nimmt, mit seinen Ängsten, Sorgen und Anliegen, kann ein Weg der Gesundung bzw. Besserung beschritten werden.

Mittlerweile fühle ich mich in der Tagesklinik ein wenig wie zu Hause. Wenn mir Schwestern oder der Oberarzt begegnen, werde ich das ein oder andere Mal bereits mit meinem Nachnamen begrüßt. Das freut mich natürlich sehr und gleichzeitig macht es mich stutzig: Wieso werde ich mit meinem Nachnahmen begrüßt und kein anderer Patient? Woran liegt das? Die Antwort habe ich mir selbst schnell gegeben und dabei geschmunzelt. Denn wer mich kennt, kann sich vorstellen, wie ich durch die Klinik gehe Trotz Mundschutz lächle ich die Menschen an, Schwestern, die mich piksen, bei denen ich mich anmelde, verwickle ich in ein Gespräch und stelle interessiert Fragen. Somit entstehen kurze Gespräche, kleine Schmunzler, weise und nachdenkliche Worte sowie ein Lächeln. Wie auch heute geschehen. Der Ärztin, die mir Blut für ein großes Blutbild abgenommen hat, habe ich erklärt, woher meine Narbe am Arm kommt, die mir unsere Katze verpasst hat. In dem Zusammenhang habe ich ihr von der Katzen-Baum-Rettungsaktion meines Mannes und mir vor einigen Wochen erzählt. An dem Tag kletterten mein Mann und ich um 3:30 Uhr in der Frühe in einen Baum, um unsere Katze zu retten. Dabei hatten wir unsere Nachtoutfits, Wohlfühlhosen und quietschfarbige Jacken an. Wir sahen ein wenig aus wie die Flodders oder Dorfis. Ich habe das Bild der Baumrettungsaktion der Ärztin beschrieben und sie damit zum Lachen gebracht. Das tat mir gut und ich glaube den Anwesenden Patientinnen im Zimmer auch. Auch wenn mir nicht nach guter Laune war, ging es mir während und nach der Erzählung gleich etwas besser. In die strahlenden, Augen der Ärztin zu blicken, haben mir gut getan…

Ich denke, genau das ist es, warum mich Schwestern und auch der Oberarzt grüßen. Ich nehme Kontakt zu meinem Gegenüber auf. Es entsteht ein Gefühl der Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Und das ist es doch, was uns trägt und Kraft schenkt. Die Zuversicht und das Wissen darum, nicht allein zu sein. Begleitet zu werden, von Freunden, Bekannten, auch Ärzten und Schwestern, Nachbarn, u.v.m. Die Auflistung ist lang. Jeder kann für sich schauen, wer ihm wichtig ist in seinem Leben. Wie groß oder klein sein Netzwerk ist. Wichtig ist es, ein Netzwerk von tragbaren Beziehungen zu haben, diese zu pflegen und wertzuschätzen. Denn Beziehungen sind ein Geschenk des Lebens an uns.

ree

 
 
 

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