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Gedanken

  • Antje Hoell
  • 30. Nov. 2020
  • 3 Min. Lesezeit

Montag. Eigentlich Therapietag! Dennoch habe ich keine Therapie erhalten. Meine Granulozyten sind, wie auch in den letzten Wochen, durch die Chemotherapie zu niedrig… Frust! Enttäuschung! Denn das Aussetzen bedeutet wieder eine Verlängerung meines 3. Zyklus und somit der ganzen Therapie!

Was sind Granulozyten? Granulozyten gehören zu den weißen Blutkörperchen. Diese bekämpfen Infektionen und Entzündungen und sind somit maßgeblich für die Immunabwehr zuständig. Damit mein Körper, genauer gesagt mein Knochenmark angeregt wird, wieder mehr weiße Blutkörperchen zu bilden, muss ich mir für zwei Tage Neupogen spritzen. Neupogen ist ein Wachstumsfaktor, der das Knochenmark anregt. Nun hoffe ich, dass mein Knochenmark bis Donnerstag genügend Granulozyten bildet und ich meine Therapie erhalten kann. Natürlich hat auch das Neupogen Nebenwirkungen. Die häufigste Nebenwirkung sind starke Knochenschmerzen, vor allem im Beckenbereich, die mich in der Regel in der Nacht „heimsuchen“. Weitere Infos dazu unter: https://fachkreise.amgen.de/downloads/f/1/422/neupogen-durchstechflasche-gebrauchsinformation.pdf

Frustrierend ist immer wieder für mich, wenn ich unverrichteter Dinge die Klinik verlassen muss. Wenn ich etwas beginne, mir etwas vornehme und ein Ziel vor Augen habe, will ich es pflichtbewusst und schnellstmöglich erreichen. Ruhephasen und geduldig den richtigen Zeitpunkt abwarten, gehörte bisher nicht zu meinen Stärken. Gleichzeitig kann ich es kaum glauben, dass ich enttäuscht bin, keine Therapie zu erhalten. Noch vor zwei Monaten hätte ich alles dafür getan, keine Chemotherapie zu erhalten, aus Angst vor all den Nebenwirkungen. Nun will ich es „durchziehen“, will meine Krebswerte drücken und am besten besiegen. Ich versuche sogar mit den Ärztinnen zu „dealen“ und zu sagen: „Ach, geben Sie mir trotzdem die Dosis, ich werde damit schon zurechtkommen“. Zum Glück nehmen die ÄrztInnen im Klinikum Südstadt Rücksicht auf uns Patienten. Meine Ärztin hat gesagt: „Frau Hoell, ihr Körper ist keine Maschine. Wir müssen darauf Rücksicht nehmen!“ – Wow. Das hat mir gezeigt, wie sträflich ich doch in den letzten Jahren meinen Körper behandelt habe. Wie ich über meine Grenzen gegangen bin, in dem ich bestimmte Anzeichen der Schwäche ignoriert habe.

Ich bin mir sicher, dass ist ein Thema, was uns alle betrifft und jeder von uns kennt. Gerne ignorieren wir unsere Grenzen. Funktionieren, weil es von uns verlangt wird, wir selbst hohe Anforderungen an uns und unsere Mitmenschen stellen. Ausatmen, Innehalten, sein eigenes Tempo finden... wird leider noch immer ungern gesehen. Und gleichzeitig ist es essential für unser Wohlbefinden, unsere körperliche und seelische Gesundheit.

Nicht nur, dass ich frustriert darüber bin, keine Therapie zu erhalten, ich relativiere diese auch noch. Ich nenne sie „Chemo-Light“. Wie kommt das? Ich vergleiche meine Therapie mit der von anderen PatientInnen in der Klinik. In einem der Patientenzimmer lagen heute drei Frauen im Bett mit jeweils einem Infusionsständer daneben, der wiederum behangen war mit drei, vier und manchmal sogar fünf Infusionsbeuteln. Deren Inhalt wird, manchmal in bis zu 8 Stunden, in den Körper geleitet. Welcher der Beutel eine Chemo enthält, ist an dem roten Aufkleber erkennbar. Auch meine Chemo-Spritze hat einen roten Aufkleber. Und dennoch betrachte ich meine Therapie als „gemäßigt“, denn im Vergleich zu den Frauen mit den zahlreichen Infusionsbeuteln ist meine Spritze doch ein „Klacks“. Wieso? Nehme ich mich nicht wichtig genug? Gehe ich auch hier über meine Grenzen? Es ist doch ersichtlich, dass mein Körper bereits mit einer geringen Chemo-Dosis ordentlich zu tun hat.

Glücklicherweise verstehe und realisiere ich immer mehr, dass wir durch Schicksalsschläge, Erkrankungen, Krisen etc. gezwungen werden, unsere Verhaltensweisen, Glaubensätze und Werte, die wir bisher vertreten und gelebt haben, zu hinterfragen. Ich darf lernen, mich und den Krebs wichtig zu nehmen. Ich darf Geduld und Akzeptanz lernen, darf und muss für mich sorgen und Grenzen setzen, denn ansonsten hat mein Körper nicht genügend Kraft, gesund zu werden. Es sollte natürlich nicht immer dazukommen, erst krank zu werden, eine krasse Diagnose zu erhalten, um für sich zu sorgen.

Ich bin stark genug, um diese Aufgabe anzunehmen und zu meistern! Ich wünsche mir dennoch, dass ihr schon jetzt in eurem Leben, eurem Alltag für euch sorgt und ihr euch ernst nehmt. Jede/r von uns ist einzigartig und ist es wert, geliebt zu werden.



ree

 
 
 

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