Eine Achterbahnfahrt der Gefühle…
- Antje Hoell
- 28. Dez. 2020
- 4 Min. Lesezeit
Wo fange ich nur an? Wie schaffe ich es, die Gedanken, Gefühle und Erfahrungen der letzten 10 Tage zusammenzufassen? Eine Trennung zwischen Therapie / Therapieverlauf und dem Weihnachtsfest scheint mir sinnvoll…
Mein Eintrag vom 18.12. war kurz. In dem Sinne ein Verzweiflungsruf. Es folgten Tage mit kurzen Nächten, vielen Tränen, Ungewissheit, Angst und vielen Fragen über die Zukunft. Seitdem fühle ich mich, als säße ich in einer Achterbahn. Ich sitze fest und sicher in einem kleinen Achterbahnwagon. Ich verfüge über ausreichend Willenskraft und Lebensfreude. Und dennoch… Die Bahn fährt los. Fährt schnell und zügig in die Kurven. Ich werde durchgerüttelt. Meine Zuversicht, mein Lebensmut schwinden. Fast fallen sie aus dem sicher geglaubten Wagon. Es folgen Loopings… So schnell kann ich gar nicht reagieren. Gedanken „überrollen“ mich, ich versuche, wieder klar zu denken, wieder Halt zu finden, mich zu sortieren. Eine gerade Strecke. Der Wagon fährt langsam. Ich kann wieder durchatmen, ein- und ausatmen, mich sammeln. Ich spüre mich wieder. Ich empfinde wieder etwas Zuversicht und Lebenswillen, bis der nächste Looping kommt…
Dienstag letzter Woche bin ich seelisch angeschlagen in die Klinik gefahren, um meine Chemo-Dosis zu erhalten. Ich habe den Mitarbeiterinnen, mit denen ich an dem Tag Kontakt hatte, direkt signalisiert, dass es mir emotional nicht gut geht. Ich habe meine Tränen nicht versteckt, habe dazu gestanden. Und was habe ich erhalten? Verständnis, warmherzige, ehrliche und aufrichtige Worte, um die ich gebeten habe. Die Ärztin hat sich Zeit genommen, mir meine Fragen zur Daratumamabtherapie zu beantworten, eine fremde Patientin hat mir eine Weihnachtskarte geschenkt, um mich aufzumuntern. Die Schwester hat mich gefragt, ob ich beim Frisör war. (Das war ich vor zwei Monaten). Da wollte mich wohl jemand ablenken und mir Gutes tun. Mit einem Lächeln und dem Gefühl, getragen zu werden von lieben Menschen, habe ich an dem Tag die Klinik wieder verlassen. Am Nachmittag habe ich außerdem ein ausführliches Telefonat mit der Fachärztin über meine weitere Therapie geführt.
Im Fachjargon befinde ich mich derzeit in der Erstlinientherapie. Diese sieht in der Regel die Gabe von drei Medikamenten vor. Da ich bisher nur zwei Medikamente (Velcade und Dexamethason) erhalten habe, soll ich ab Januar zusätzlich den Antikörper Daratumamab, mit dem Ziel erhalten, die Krebswerte weiter zu „drücken“. Die Gabe des Antikörpers hat mich in Angst und Schrecken versetzt. Vor allem die darauf möglichen lebensbedrohlichen Reaktionen des Körpers. Die Ärztin hat mich diesbezüglich jedoch gut aufgeklärt. Um auf mögliche Reaktionen sofort reagieren zu können, werde ich am 06.01.2021 für einige Tage stationär aufgenommen. Ich werde eine Infusion erhalten, mit anfangs einer geringen Dosis, um den Körper an den „Stoff“ zu gewöhnen, dann folgt die längere Dosis. Wenn alles gut geht, kann ich das Krankenhaus nach einigen Tagen wieder verlassen. Von da an werde ich im 5. und 6. Zyklus meiner Chemotherapie jede Woche eine Riesenspritze mit dem Antikörper erhalten, die mir die Schwestern für insgesamt 15min!!!! in den Bauch spritzen. Ob dafür meine kleine Bauchfalte ausreicht, sehe ich kritisch. Wenn nicht, muss ich einmal in der Woche für bis zu 6h den Antikörper per Infusion erhalten. Die Aussicht darauf lässt mich etwas frohlocken, denn dann hätte ich die Zeit, endlich in Ruhe Bücher zu lesen, ohne ständig das Gefühl haben zu müssen, aktiv zu sein, mich zu kümmern, zu denken und zu handeln. Bis März werde ich die 6 Zyklen der Erstlinientherapie abschließen. Was darauf folgt, ist noch ungewiss. Eine Knochenmarkpunktion im März wird Aufschluss darüber geben, inwieweit mein Knochenmark zu dem Zeitpunkt noch mit Krebszellen infiltriert sein wird. In dem Sinne bestehen drei Therapiemöglichkeiten/-wege:
1. Möglichkeit: Ich gehe den für mich allerkrassesten Schritte, die ich mir in meinem Leben bisher niemals hätte vorstellen können: den Weg der Hochdosis-Chemotherapie mit Stammzelltransplantation und anschließendem mindestens einem Jahr der „wieder zu Kräften kommen“. Laut den Ärzten ist die Hochdosis-Therapie noch immer die einzige Möglichkeit, für eine bestimmte Zeit behandlungsfrei zu sein. Die Garantie dafür kann mir jedoch keiner geben. Es gibt viele Patienten, die bereits nach ½ Jahr oder einigen Jahren wieder Krebszellen in ihrem Knochenmark vorweisen und die ganze Tortur erneut durchlaufen!
2. Möglichkeit: Ich stelle mich auf ein Leben mit Medikamenten und ihren zahlreichen langfristigen und kurzfristigen Nebenwirkungen, somit Lebensrisiken und Lebenseinschränkungen ein. Dazu gehören vor allem der Verlust von Nervenverbindungen in Händen und Füßen, erhöhte Thrombose und Lungenembolie Gefahr und viele weitere „nette“ Erkrankungen.
3. Möglichkeit: Ich sage: Ich will nicht mehr. Ich atme für ein paar Monate, oder vielleicht sogar ein paar Jahre durch, versuche das Leben ohne Chemotherapie und ohne Medikamente zu leben, das mich glücklich macht, um dann mit den Konsequenzen der Erkrankung zu leben. Dazu gehören in der Regel lebensgefährliche Knochenbrüche, Organversagen und einige mehr.
Das sind doch „wundervolle“ Aussichten für eine 40jährige lebenshungrige Frau wie mich! Wie kann ich es da nur schaffen, wieder Zuversicht zu empfinden? Der Situation „standzuhalten“? Nicht aufzugeben? Nicht „herauszufallen“ aus dem sicher geglaubten Achterbahnwagon?
In dem ich täglich Dankbarkeit empfinde!
In dem ich dankbar bin, für meine unbändige kindliche Freude an den kleinen und großen „Geschenke“ des Lebens, die mich umgeben, sind sie noch so unscheinbar und klein.
Indem ich dankbar bin für meinen Mann Christian, der mich gerade in diesen Tagen mit seinem Humor versucht, zum Lachen zu bringen und tatsächlich schafft.
In dem ich dankbar bin für meine Kätzchen, die mir täglich Tränen der Rührung und Freude auf mein Gesicht zaubern.
In dem ich dankbar bin für meine Freunde und WegbegleiterInnen. Ihr gebt mir Halt und Zuversicht in den schweren und auch leichten Stunden. Ihr macht mein Leben reich!
In dem Sinne danke ich allen, die diese Zeilen lesen. Haltet inne und fragt euch: Für was und wen bin ich dankbar in meinem Leben? Lasst es mich gerne wissen. Schreibt mir eine Nachricht. Schreibt einen Kommentar.
Lasst uns gemeinsam füreinander da sein.









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